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18.05.2003 - Welt am Sonntag -

18.05.2003 - Welt am Sonntag
"Zentralabitur wird kommen"

Bildungssenator Klaus Böger über das neue Schulgesetz und die katastrophalen Ergebnisse des Sprach-Tests "Bärenstark"
von Sabine Höher

WELT am SONNTAG: Herr Böger, Ihr Schulgesetz wurde diese Woche vom Senat verabschiedet. Ein großer Wurf?
Klaus Böger: Es ist eine wichtige Reform, die das Berliner Bildungssystem einschneidend verändern wird. Der entscheidende Punkt besteht in der größeren Eigenverantwortung der Schulen und einer neuen Art der Qualitätskontrolle.
WamS: Sie behaupten, es sei das erste Schulgesetz, das unmittelbare Konsequenzen aus der Pisa-Studie zieht. Inwiefern?
Böger: Wir haben durch Pisa gute Argumente für die frühere Einschulung mit fünfeinhalb Jahren und die flexible Schulanfangsphase bekommen. Und ich bin auch überzeugt, dass der Ausbau der Ganztagsgrundschule eine wichtige Konsequenz von Pisa ist.
WamS: Die Diskussion um die Oberstufenreform hat das Gesetz bereits jetzt überholt. Es gilt inzwischen als Konsens, dass ein Abitur nach zwölfeinhalb Jahren keinen Sinn macht. Zwölf Jahre sei besser. Hätte man das nicht früher haben können?
Böger: Sinn macht in jedem Fall eine kürzere Schulzeit. In der Bildungspolitik muss man manchmal Umwege gehen, um zum Ziel zu kommen. Ich habe 1999 als Fraktionsvorsitzender bereits ein Reformpapier zur Bildungspolitik vorgelegt, in dem ich für das Abitur nach zwölf Jahren votiert habe. Dieses Modell ist jetzt eher als damals politisch mehrheitsfähig.
WamS: Wann wird Berlin die ersten 17-jährigen Abiturienten haben?
Böger: Mein Ziel ist es, ab dem Schuljahr 2004/2005 mit der siebten Klasse zu beginnen, sodass dann 2011 das erste Mal das zwölfjährige Abitur geschafft ist. Die vorgezogene Einschulung mit fünfeinhalb kann vermutlich erst zum Schuljahr 2005/2006 beginnen, weil es andere Meldefristen gibt. Das ist aber auch nicht dramatisch. Man muss den Menschen ja auch in Ruhe erklären, was sich alles verändert. Klarheit geht vor Hektik.
WamS: Was kommt auf die Schüler an Mehrarbeit zu?
Böger: Wir werden dann wahrscheinlich ab der siebten Klasse mehr Stunden geben, um die zweijährige gymnasiale Oberstufe legitimieren zu können.
WamS: Kommt die Samstagsschule dann auf breiter Front zurück?
Böger: Das ist denkbar. Aber auch hier gilt das, was der wirklich revolutionäre Gedanke dieses Schulgesetzes ist: Ich will den Schulen nicht alles vorschreiben, sie sollen selbstständiger als bisher entscheiden können. Es ist kein Unglück, wenn wir am Wochenende im 14-Tage-Rhythmus unterrichten. Aber wenn eine Schule etwa sagt, wir können mittags Essen anbieten, wir verteilen unsere Stunden bis in den Nachmittag, dann ist das ihre Angelegenheit. Sie können auch nur im Winterhalbjahr samstags unterrichten. Ich will die Schulen von hunderten Detailvorschriften entlasten, aber sie müssen über die Qualitätsstandards kontrolliert werden. Es wird in Zukunft Standards geben, was ein Schüler in der 10. Klasse erreicht haben muss.
WamS: Wie soll die Kontrolle erfolgen?
Böger: Es werden bundeseinheitliche Standards sein, die gegenwärtig mit Hochdruck von der Kultusministerkonferenz entwickelt werden. Mit der Kontrolle können wir zum Beispiel Universitätsinstitute oder gemischte Teams aus Universitäten und Schulen beauftragen. Was ich nicht möchte, ist eine eigenständige, abgehobene Prüfungsbehörde für das Land Berlin.
WamS: Rückstellungen von der Schulpflicht sind künftig nicht mehr geplant. Was passiert mit Kindern, die noch nicht schulreif sind?
Böger: Gegenwärtig gehen alle Kinder, die noch nicht schulreif sind, verpflichtend in die Vorklassen. In Zukunft wollen wir Folgendes machen: Die Kinder, die bereits weiter entwickelt oder schneller sind, können die flexible Schuleingangsphase in einem oder zwei Jahren durchlaufen. Andere bleiben drei Jahre oder sogar vier Jahre, um intensiv gefördert zu werden.
WamS: Die Schulen sollen mehr Selbstständigkeit erhalten, ihren Schulleiter selber wählen können und über Personal mitentscheiden. Stärkt das den Wettbewerb der Schulen?
Böger: Es gibt diesen Wettbewerb schon jetzt über die Mund-zu-Mund-Propaganda der Eltern. Wettbewerb zwischen den Schulen zu fairen Bedingungen und zu klaren Profilen ist sehr vernünftig. Wettbewerb zu unfairen Bedingungen nicht. Ich muss einer Schule wie der Ossietzky-Gesamtschule in Kreuzberg, die viele Migrantenkinder integriert, eine andere Ausstattung geben als dem Arndt-Gymnasium in Dahlem. Aber am Schluss muss das Abitur in Kreuzberg genauso stehen wie in Dahlem.
WamS: Ist das ein Plädoyer für das Zentralabitur?
Böger: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir ein Zentralabitur in den Fächern Deutsch, Mathematik und erster Fremdsprache bekommen werden, kombiniert mit dezentralen Prüfungsfächern. Da gibt es noch viel Aufregung. Aber es liegt in der Logik von Mindeststandards, am Ende auch vergleichbare Standards beim Abitur zu haben. Ich mache das schon zum Schutz des Berliner Bildungsstandortes, weil ich nicht möchte, dass weiterhin völlig ungerechtfertigt behauptet wird, wir hätten ein "Abi light".
WamS: Wann könnte das Zentralabitur kommen?
Böger: Ich meine, wir sollten uns in dieser Zeitvorgabe an Brandenburg orientieren, wo das Zentralabitur ebenfalls eingeführt wird. Ich bin für eine gemeinsame Bildungsregion auch schon vor der geplanten Länderfusion im Jahr 2009.
WamS: Klaus Wowereit preschte dieser Tage mit der Idee vor, Studiengebühren einzuführen. Stimmen Sie der Forderung zu?
Böger: Im Grundsatz ja. Ich finde, wir müssen unser ganzes System vom Kopf auf die Füße stellen. Wir müssen in Deutschland dahin kommen, dass die Kitas, die alle Kinder besuchen, frei sind, und der Studienplatz, den vielleicht 30 bis 40 Prozent eines Jahrgangs in Anspruch nehmen, gebührenfinanziert wird. Das ist aber keine Aufgabe für morgen, sondern allenfalls für übermorgen.
WamS: Sie haben am Freitag die Ergebnisse der Bärenstark-Untersuchung vorgelegt, in der erstmals flächendeckend die Sprachkenntnisse der Kita-Kinder erhoben wurden. Danach braucht knapp die Hälfte der Berliner Kinder im Vorschulalter Sprachförderung. Was wollen Sie tun?
Böger: Wir haben ein komplettes Sprachförderprogramm ausgearbeitet. Wer Dinge verändern will, muss erst einmal aussprechen, was ist. Die Integration kann nur gelingen, wenn es uns gelingt, die Sprachfähigkeit deutlich zu verbessern. Es wird und muss möglichst früh Deutsch gelernt werden, spätestens in der Grundschule. Und das bedeutet: Ein Kind, das zukünftig am Ende der Klasse zwei nicht das notwendige Sprachniveau für die Klasse drei hat, muss ein Jahr länger in der zweiten Klasse bleiben, um dort intensiv gefördert zu werden. Da wird es Riesenärger geben, aber das ist mir egal. Wir tuen diesem Kind sonst nichts Gutes.

Der Artikel ist erschienen am 18. Mai 2003
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