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27.06.2003 - Die Welt -

27.06.2003 - Die Welt
Das perfekte Schulbuch-Chaos

Lehrer befürchten schlecht ausgestattete Klassen - Datenschützer warnen vor Indiskretion
von Christa Beckmannund Björn Engel

Wenige Tage vor den Ferien ist das Schulbuch-Chaos perfekt. Viele Schulen wissen noch nicht, wie viele ihrer Schüler weiterhin alle Bücher kostenlos bekommen. Sie laufen den Eltern hinterher, um die notwendigen Bescheinigungen zu bekommen. Aber auch ein Großteil derer, die zahlen müssen, werden das nicht tun, fürchten vor allem Hauptschulen. Folge: Nach den Ferien sitzen viele Schüler ohne die notwendigen Bücher im Unterricht.
Der Datenschutzbeauftragte des Landes hat zudem Bedenken, dass die in rasanter Geschwindigkeit verabschiedete Neuregelung vor dem Gesetz nicht standhält. "Wenn jemand dagegen klagen sollte, könnte es sein, dass er Recht bekommt", räumt seine Pressesprecherin Anja-Maria Gardain ein. So sei es nicht einsehbar, dass die Eltern den Grund dafür nennen müssen, warum sie von der Zuzahlung befreit sind, also ob sie beispielsweise Sozialhilfe oder Wohngeld beziehen. Der Datenschutzbeauftragte werde deshalb im nächsten Schuljahr auf Nachbesserung drängen. Zumindest habe die Behörde sichergestellt, dass die Bescheinigung nicht bei der Schule abgegeben, sondern nur gezeigt werden müsse, und dass die Höhe der bezogenen Leistung nicht offen gelegt werden muss.
Der Zeitdruck bereitet auch Bezirken wie Friedrichhain-Kreuzberg Probleme. "Der Anteil der Eltern, die nichts zuzahlen müssen, ist in Friedrichshain und Kreuzberg ganz unterschiedlich groß", rechnet die dortige Schulamtsleiterin Marina Belicke. Das müsse im Haushalt zwischen den Stadtteilen ausgeglichen werden. Der Bezirk habe deshalb von den Schuletats für Lehr- und Lernmittel - die das Land im Vorgriff auf die Eigenbeiträge der Eltern schon pauschal um 37 Prozent gekürzt hat - vorsorglich noch einmal 25 Prozent einbehalten. Bis Mitte nächster Woche sollen die Schulen melden, wie viele Eltern befreit sind und wie viel Geld vom Land benötigt wird. Eine Order, die viele Schulen wohl kaum erfüllen können. Denn ihnen geht es wie der Neuköllner Kepler-Oberschule. 53 Prozent der Schüler dort sind nicht deutscher Herkunft. Auf 70 bis 80 Prozent schätzt die Schulleitung den Anteil derer, die unter die Ausnahmeregel fallen. Genauere Zahlen gibt es nicht. Viele Eltern ließen den von der Schulleitung gesetzten Termin verstreichen.
Ähnlich düster sieht es an der Weddinger Winkelried-Oberschule aus. "Bisher haben etwa 25 Prozent unserer 420 Schüler ihren Anspruch auf die Ausnahmeregelung geltend gemacht", sagt Schulleiter Hans-Joachim Faust. Aber das sei ein viel zu geringer Anteil. "Ein Großteil kommt garantiert erst nach den Ferien angeklötert."
Gymnasien stehen da besser da. Bei der Rosa-Luxemburg-Oberschule in Pankow müssen gerade mal etwa 25 von 930 Schülern nichts zahlen. Auch die Eigenanteile der anderen Eltern wird man deutlich unter 100 Euro drücken können. Die Eltern haben einen bestimmten Betrag an den Schulverein gespendet, der Bücher kauft. Weit mehr ärgert den Leiter des Gymnasiums die unsichere Rechtslage. "Da weiß doch keiner wirklich Bescheid."
Mit Fragen dieser Art belastet sich die Lilienthal-Oberschule in Lichterfelde zumindest das nächste halbe Jahr nicht. Die 610 Gymnasiasten sind mindestens noch bis zum Sommerhalbjahr 2004 mit Büchern gut versorgt. "Vorher", heißt es dort, "fangen wir mit irgendwelchen Bestellungen von neuen Büchern gar nicht erst an." Gelassenheit herrscht auch in der Senatschulverwaltung. Dort versteht man die ganze Aufregung nicht. "Es gibt kein Chaos", versichert zumindest Sprecher Thomas John. "Und auch der Datenschutz ist gewährleistet."

Der Artikel ist erschienen am 27. Juni 2003
2003 © Die Welt