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20.05.2003 - Berliner Zeitung -

20.05.2003 - Berliner Zeitung
Vor dem Schulbeginn zum Buchladen

Eltern müssen für Lernmittel nun bis zu 100 Euro zahlen und selbst einkaufen gehen
Tobias Miller

Das Tempo bei der Abschaffung der Lernmittelfreiheit ist rekordverdächtig. Wenn die SPD-PDS-Mehrheit am Donnerstag im Abgeordnetenhaus das Schulgesetz ändert, hat sich das Parlament gerade mal zwei Wochen mit der Vorlage beschäftigt. Die neue Regelung soll bereits vom nächsten Schuljahr an gelten und den Haushalt um insgesamt knapp zehn Millionen Euro entlasten. Die Zeit drängt. Daher hat Bildungssenator Klaus Böger (SPD) bereits gestern einen Brief an die Schulen verschickt, um sie zu informieren, wie die Eltern künftig am Kauf der Schulbücher beteiligt werden. Denn die gesamte Organisation muss von den Schulen übernommen werden.
Für bis zu 100 Euro sollen die Eltern für jedes Kind und Schuljahr Schulbücher oder andere Druckschriften kaufen. Spiel- und Lernmaterial, die zum Beispiel wesentlicher Bestandteil der Montessori-Pädagogik sind, gehören nicht dazu, sagte Bögers Sprecher Thomas John am Montag. Ebenso wenig Taschenrechner.
Nach Bögers Brief müssen die Schulen eine Liste mit den Büchern aufstellen, die die Eltern kaufen sollen. Die Bücher sollen so ausgewählt werden, dass damit voraussichtlich in den nächsten vier Jahren in den entsprechenden Altersstufen gearbeitet werden kann. Gesamt- und Fachkonferenzen sind an der Aufstellung zu beteiligen. Die Eltern sollen die Liste rechtzeitig vor den Sommerferien bekommen. Was rechtzeitig bedeutet, wird aber nicht erläutert. Ausgenommen von der Zuzahlung sind Bezieher von Sozialhilfe, Wohngeld, Bafög und von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sie müssen der Schulleitung vor Beginn der Ferien eine aktuelle Bescheinigung vorlegen. Die Betroffenen bekommen die Bücher weiter ausgeliehen.
Wenn die Eltern die Listen bis spätestens Mitte Juni bekommen und sofort bestellen, kann es noch bis zum Schlujahresbeginn Mitte August funktionieren, sagt Andreas Baer, Geschäftsführer des Verbandes der Schulbuchverlage (VdS Bildungsmedien). "Das ist knapp, aber nicht unmöglich." Schließlich sei den Verlagen die geplante Änderung in Berlin bekannt. "Und sie wissen sehr präzise, mit welchen Büchern schon jetzt in den Berliner Schulen gearbeitet wird." Nur vereinzelt werde es zu Engpässen kommen, meint er.
Genau das bezweifeln aber einige Schulleiter. Werner Munk erwartet eine "ganz schwierige Anlaufphase" im nächsten Schuljahr. Die Vorbereitungszeit sei einfach zu knapp, sagt der Schulleiter der Reinhardswald-Grundschule in Kreuzberg. Er hätte ein Ausleihsystem, bei dem sich die Eltern mit einem jährlichen Betrag beteiligen, besser gefunden. "Was passiert zum Beispiel, wenn Familien nicht kaufen wollen oder können?", fragt er. Wer setzt den Bücherkauf durch? Schon jetzt komme es vor, dass er Lehrer vor Klassenfahrten zu Eltern schicken muss, damit sie deren Anteil bezahlen. In dem Fall müsste wohl das Jugendamt tätig werden, heißt es in der Senatsbildungsverwaltung. In der Marc-Chagall-Realschule in Marzahn werden jedes Jahr im April die neuen Bücher bestellt. "Bislang haben es die Verlage gerade geschafft bis zum neuen Schuljahr zu liefern", sagt Schulleiter Karl-Heinz Kuhne.
Am Gymnasium Steglitz geht man einen anderen Weg. "Unsere Eltern wollen einen Verein gründen", sagt Schulleiter Thomas Gey. Der werde künftig die Bücher kaufen, die Eltern zahlen 60 Euro pro Kind und Jahr Ausleihgebühr. Er wisse nur noch nicht, ob das der Bildungssenator Böger genehmige. Eine solche Lösung sei möglich, teilte Bögers Sprecher Thomas John mit. Die Elternbeteiligung solle sich nach den "jeweiligen Gegebenheiten" an den Schulen richten.

Der Artikel ist erschienen am 20. Mai 2003
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